Der zweite Teil des Interviews wurde mit Dr. med. Heidemarie Haeske-Seeberg (Bereichsleiterin Medizin und Qualitätsmanagement bei Sana Kliniken GmbH und Co. KGaA), Winfried Busche (Verwaltungsdirektor Zentralinstitut für Seelische Gesundheit) und Hans-Dieter Oepen (Avya Tenovis) geführt:

1. Welche Widerstände existieren aus Ihrer Perspektive, gegen die doch allseitig und seit langem erhobene Empfehlung, die Betroffenen gut zu informieren und gezielt in die Behandlung zu integrieren?

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Heidemarie Haeske-Seeberg: Gelegentlich ist es ein falsches, "väterliches“ Verständnis ärztlicher Verantwortung, das gut gemeint ist, aber letztlich zur Entmündigung des Patienten führt. Oft fehlt es aber auch an geeigneten unterstützenden "Werkzeugen“, die erst langsam entstehen.

Winfried Busche: Bewusste Widerstände sehe ich hier nicht. Ein Hauptproblem sehe ich darin, dass die Betroffenen jeweils zeitlich begrenzt als Patienten in das in sich stark strukturierte, organisierte und fachwissenorientierte System einer medizinischen Behandlung eintreten und es somit einen hohen Aufwand – bei ständig enger werdenden Ressourcen – erfordern würde, sie wirklich umfassend zu integrieren.

2. In welchen Versorgungsbereichen sehen Sie ein "gelungene Praxis“, wo besteht der größte Entwicklungsbedarf?

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Heidemarie Haeske-Seeberg: Gelegentlich ist es ein falsches, "väterliches“ Verständnis ärztlicher Verantwortung, das gut gemeint ist, aber letztlich zur Entmündigung des Patienten führt. Oft fehlt es aber auch an geeigneten unterstützenden "Werkzeugen“, die erst langsam entstehen.In der Geburtshilfe gibt es seit Jahren einen Trend in die richtige Richtung. Hier sind es mündige, meist nicht kranke Schwangere, die sich Zeit für die Anbieterauswahl nehmen und vergleichen. Das hat vielerorts zu vorbildlichen Information- und Aufklärungsaktivitäten geführt, die als Beispiel für andere bereich dienen können.

Winfried Busche: Hier gilt sicher der Grundsatz: Je länger die Therapie, desto intensiver die Einbindung des Patienten. Die Besten Ergebnisse gibt es bisher im Bereich chronischer Erkrankungen. Hier können wir in unseren psychiatrischen Fächern auf sehr gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen und Angehörigen verweisen. Bei ambulanten Operationen oder Kurztherapien besteht m. E. hingegen die größte Gefahr, den Betroffenen schnellstmöglich "durchzuschleusen“ zu wollen.  

3. Es gibt immer wieder das Argument die Betroffenen wollten häufig gar nicht wirklich partizipieren, entspricht das Ihrer Erfahrung? Stellt ein solches Verhalten nicht häufig auch den Endpunkt zahlreicher Fehlentwicklungen dar?

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Heidemarie Haeske-Seeberg: Wieviel Aufklärung und Selbstbestimmung jeder Patient wünscht ist u.a. stark von der Lebenssituation, der Art der Erkrankung, ihrem Stadium, der Phase der Auseinandersetzung damit abhängig. Immer mehr insbesondere jüngere Patienten der "Generation Internet“ nutzen entsprechende Informationsangebote und hinterfragen kritisch die Entscheidungen ihrer Ärzte. Sie zeigen uns damit, das prinzipiell ein Bedürfnis nach Information und Selbstbestimmung besteht.

Winfried Busche: Sicher gibt es eine Gruppe Betroffener, die eine aktive Einbeziehung ablehnt. Ich gehe jedoch davon aus, dass es sich dabei um eine Minderheit handelt. Gleiches gilt für diejenigen, die aus den verschiedensten Gründen nicht dazu in der Lage sind, im Rahmen der Therapie zu interagieren.

4. Welche Rolle kann die Selbsthilfe ‑‑ Ihrer Einschätzung nach ‑‑ übernehmen und welche nicht?

Heidemarie Haeske-Seeberg: Die Selbsthilfegruppen sollten bei der Entwicklung von Leitlinien eingebunden sein, sie sollten vorhandene Angeboten kritisch prüfen und aus der Patientenperspektive Kriterien gestützte Empfehlungen aussprechen. Bei Entscheidungen im Einzelfall sollten Sie keine Rolle wahrnehmen. 

Winfried Busche: Die organisierte Selbsthilfe sollte aus meiner Sicht den Betroffenen Information und Dienstleistung bezüglich der institutionellen Rahmenbedingungen und der medizinischen Inhalte der jeweiligen medizinischen Fragestellung anbieten. Dies kann eine intensivere Einbindung des Patienten nicht ersetzen, aber durchaus befördern. 

5. Welche Technologien könnten die Ärzte und Pflegekräfte unterstützen und wie könnte dies praktisch funktionieren?

Heidemarie Haeske-Seeberg: Es gibt bereits Methoden der Aufklärung, gemeinsamen Entscheidungsfindung, Angebotsbewertung und Methoden der Zusammenarbeit mit Patienten beim Produktdesign. Diese sind jedoch bei weitem nicht ausreichend und zufrieden stellend. Basis für all diese Bemühungen sind für Patienten verständliche Informationen über Krankheiten, deren unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten einschließlich zu erwartender Erfolge und Kosten. Ansätze dazu gibt es zahlreiche (z.B. discern), die jedoch in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind, längst nicht für alle wichtigen Erkrankungen und Behandlungsmöglichkeiten verfügbar oder gar aufeinander abgestimmt sind.

Winfried Busche: Ein wichtiges Instrument sind die im Aufbau befindlichen Informations- und Kommunikationssysteme via Internet, welche endlich eine Vernetzung aller am medizinischen Leistungsprozess Beteiligten ermöglichen und dem Betroffenen bereits im Vorfeld der Behandlung weiterhelfen können.  Da vor allem auch alte Menschen unterstützt werden müssen, bietet es sich an, die technischen Möglichkeiten des allen vertrauten Telefons mit denen des Internets zu verbinden.

Hans-Dieter Oepen: Avaya Tenovis hat neben dem Verwaltungsbereich den Schwerpunkt der Krankenhauslösung MedCom im Patienten- und Pflegebereich. Dabei wird prozessorientiert durch die Verknüpfung von Informationen aus den Krankenhaus Informations-, Lichtruf- , Alarm-/Management- und IT/TK Systemen Mehrwert für den Patienten und Entlastung für das Pflegepersonal geschaffen. Dabei spielt die digitale Informationsübermittlung via wireless Technologien wie DECT oder WLAN eine immer größere Rolle. Die schrittweise Migration (unter Berücksichtigung von Investitionsschutz) in ein homogenes IP Umfeld steht dabei im Vordergrund.

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6. Die Krankenkassen und Versicherungen arbeiten seit geraumer Zeit mit eigenen und auch zugeschalteten Communication Centern, wissen Sie um die Erfahrungen und wann glauben Sie werden diese auch von den eigentlichen Leistungsanbietern genutzt werden?

Hans-Dieter Oepen: Communication Center, einerlei ob in eigener Verantwortung oder mit Partnern realisiert, sind im Gesundheitswesen noch nicht entsprechend den funktionalen Möglichkeiten eingesetzt. Dabei sind die positiven Erfahrungen anderer Branchen ( Avaya Tenovis ist Marktführer bei Call Centern in Deutschland ) nicht weg zu diskutieren. Was scheinbar noch fehlt, um der Nutzung von Communication Centern auch im Gesundheitswesen zum Durchbruch zu verhelfen, sind speziell auf die Bedürfnisse der Beteiligten im Gesundheitswesen zugeschnittene Anwendungsszenarien, die jedoch meist organisatorische Optimierungen zur Folge haben. Dies muss daher einhergehen mit einer überzeugenden Kosten- / Nutzen Darstellung.

7. Was tun Sie denn konkret in Ihrem Arbeits‑ und Verantwortungsfeld, gibt es Projekte oder andere gezielte Aktivitäten?

Heidemarie Haeske-Seeberg: Wir entwickeln evidenzbasierte Geplante Behandlungsabläufe, in denen die Information, Aufklärung und Schulung von Patienten und ihren Angehörigen ein besonderer Stellenwert beigemessen wird. Durch Broschüren wissen sie vorher, was während des stationären Aufenthaltes auf sie zukommt und wie sie behandelt werden.  In unserem Projekt "Perioperative Schmerztherapie“ haben wir der Schmerzmessung durch den Patienten und der Erfolgskontrolle nach Schmerzmittelgabe besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dadurch soll – neben anderen Effekten - die Autonomie der Patienten gestärkt werden. Einige unserer Einrichtungen haben Filme gedreht, die Patienten ausführlich und verständlichen über ihre Erkrankung, deren Behandlungsmöglichkeiten und die Leistungen der Klinik informieren. Ende 2004 haben wir eine unternehmensweite Patientenbefragung durchgeführt  Selbstverständlich haben wir die vom Gesetzgeber geforderten Qualitätsberichte für alle unsere Kliniken erstellt und zusätzlich einen "Medizinischen Entwicklungsbericht“ für den Verbund angefertigt, in denen Patienten wertvolle Informationen über unsere Angebote in verständlicher Form erhalten.

Winfried Busche: Es ist bei allen Leistungsanbietern im Gesundheitswesen eine stärkere Fokussierung auf die Bedürfnisse der Patienten / Kunden zu beobachten. Im Rahmen der wachsenden Anforderungen an die Dokumentation erbrachter Leistungen und der Messung der Qualität dieser Leistungen werden dem Patienten immer mehr Informationen zur Verfügung stehen. Neben dem Ausbau dieser Daten im Internet (Homepage) wird in Kürze ein Communication-Center implementiert, welches alle Ratsuchenden zu dem ihrem Informationswunsch entsprechenden Ansprechpartner führt und entsprechend qualifiziert betreut.

8. Es gibt zahlreiche Beobachter, die aussagen, dass das aktuelle Qualitätsmanagement zu wenig auf die Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt wäre. Entspricht dass Ihrer Meinung bzw. was müsste stärker im Vorgehen des QM  akzentuiert werden?

Heidemarie Haeske-Seeberg: Die Beteiligung von Patienten und die Berücksichtigung ihrer Perspektive bei der Entwicklung von medizinischen Dienstleistungen ist noch immer ein Problem. Hier gibt es in den Niederlanden und auch in anderen Ländern ermutigende Projekte, die aufzeigen, wie diese Beteiligung erfolgen könnte. Vor allem aber braucht es jemanden, der solche Entwicklungen finanziert und vorantreibt, denn diese Aufgabe ist für einzelne Kliniken nicht lösbar. Hier fühlt sich in Deutschland niemand wirklich zuständig.

Winfried Busche: Hier darf man die Messlatte nicht zu hoch anlegen, da sich diese Strukturen erst im Aufbau befinden. Das Qualitätsmanagement ist dann im Sinne des Patienten erfolgreich, wenn es die Prozessqualität des gesamten therapeutischen Geschehens optimiert. Ein wichtiger Baustein ist hierbei die Abfrage der vom Betroffenen in den verschiedenen Behandlungsstufen empfundenen Qualität bzw. Mängel, welche im besten Fall parallel zur Therapie erhoben wird. Diese Rückmeldung der Nutzer medizinischer Leistungen sollte schneller und direkter bei der Restrukturierung medizinischer Prozesse Berücksichtigung finden.

W. George beim Interview

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