Der erste Teil des Interviews wurde mit Dr. Christoph Straub (Vorstand Techniker Krankenkasse), Dr. Andreas Tecklenburg (Vorstand für das Ressort Krankenversorgung und Vizepräsident der Medizinischen Hochschule Hannover) und Dieter Hebel (Vorstand Gmünder ErsatzKasse GEK) geführt:

C. Straub A. Tecklenburg D. Hebel
Dr. Christoph Straub
Dr. Andreas Tecklenburg
Dieter Hebel

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1. Welche Widerstände existieren aus Ihrer Perspektive, gegen die doch allseitig und seit langem erhobene Empfehlung, die Betroffenen gut zu informieren und gezielt in die Behandlung zu integrieren?

Christoph Straub: Die Hürden sind vielfältig. Zum einen ist es ein Lenrprozess bei den Patienten, dass sie Anspruch auf umfassende Informationen, auf ein Mitreden und Mitentscheiden haben - das steht im Widerspruch zur Tradition der Vergangenheit im Sinne von "Der Doktor wird schon wissen, was gut für mich ist". Zum anderen müssen sich auch die Ärzte und die nicht-ärztlichen Disziplinen an das neue, sich entwickelnde Selbstbewusstsein der Patienten gewöhnen. Und auch die Krankenkassen mussten sich vom Verwalter zum Gesundheitsdienstleister entwickeln und ihre Rolle neu definieren; manche sind da weiter, andere hinken noch hinterher.

Andreas Tecklenburg: Dem Grunde nach ist akzeptiert, dass Patienten sehr gut informiert werden müssen und sollen. Die immer komplexer werdenden diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten erfordern einen höheren Informationsaufwand. Aber genau dafür fehlt auch die Zeit, denn für eine komplexe Information ist in der DRG-Welt häufig wenig Zeit. Insofern sind die Widerstände weniger das nicht Wollen sondern das nicht Können.

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Dieter Hebel: Solche Widerstände gibt es, aber nicht überall und nicht immer. Man kann sich das auch als sehr weit gespannte Skala vorstellen, beginnend mit einem bewusstlosen Notfallpatienten, dessen "Integration in die Behandlung" naturgemäß zweitrangig ist, bis zu einem interessierten und gut informierten Patienten, der z.B. vor einer elektiven Operation versucht, mit Hilfe seiner Ärzte eine gute Entscheidung zu treffen. Wir als GEK haben vielfältige Unterstützungsangebote einschließlich des GEK-Teledoktors, um Hilfen anzubieten und den Patienten in die Lage zu versetzen, dass er die Informationen bekommt, die er braucht und die richtigen Entscheidungen in seiner persönlichen Situation treffen kann. 

2. In welchen Versorgungsbereichen sehen Sie ein "gelungene Praxis“, wo besteht der größte Entwicklungsbedarf?

Christoph Straub: Bei der Hormontherapie zum Beispiel waren die Effekte deutlich spürbar: Der Informationsbedarf der Frauen war riesig, die Verordnungszahlen sind merklich zurückgegangen. Auch wenn es um Operationen (ambulant oder stationär) geht, informieren sich die Menschen mehr als früher. Entwicklungsbedarf sehe ich insbesondere bei der Aufklärung über Vorsorgeuntersuchungen (z.B. Darmkrebs) oder bei Therapien, für die es mehrere Möglichkeiten des Vorgehens gibt.

Andreas Tecklenburg: Überall dort, wo es um existenzielle Bedrohung geht beziehungsweise um schwere Erkrankungen und Operationen, die potentiell auch einen tödlichen Ausgang haben können (große Operationen, Transplantationen, Chemotherapien) ist die Informationskultur exzellent. Entwicklungsbedarf ist eher dort bei den "kleinen" Eingriffen und diagnostischen Maßnahmen.

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Dieter Hebel: Sicherlich gibt es in der Versorgungsrealität große Unterschiede, und manche Bereiche weisen auch ein Verbesserungspotential auf. Als Beispiel für einen Schritt in die richtige Richtung will ich Bereiche in der ambulanten Versorgung erwähnen, in denen ein besserer Einbezug der Versicherten heute möglich ist oder bereits gelingt. Dazu gehört der Anspruch auf eine Patientenquittung oder auch die Mitgabe von Dokumentationsbögen, wie man sie erhält, wenn man sich in Disease-Management-Programme (DMP) einschreibt.

3. Es gibt immer wieder das Argument die Betroffenen wollten häufig gar nicht wirklich partizipieren, entspricht das Ihrer Erfahrung? Stellt ein solches Verhalten nicht häufig auch den Endpunkt zahlreicher Fehlentwicklungen dar?

Christoph Straub: Ich kann diese Erfahrung nicht bestätigen und halte dies auch für eine Schutzbehauptung, die den Handlungsbedarf bezweifeln soll. Aber sicherlich gibt es noch immer viele Menschen, die im Sinne einer "Der Doktor wird's schon wissen"-Tradition ihre Therapie nicht hinterfragen. Das ist also weniger der Endpunkt einer Fehlentwicklung, sondern gelebte Geschichte. Wer allerdings nichts hinterfragen will, für den muss es auch künftig ein Recht auf Nichtwissen geben.

Andreas Tecklenburg: Auch ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass Betroffene – häufig sehr gut ausgebildete Menschen (auch Ärzte!) - sich lieber in das Unvermeidliche hineinbegeben ohne Aufklärung als eine zusätzliche Belastung auf sich zu nehmen.

Dieter Hebel: Die Betroffenen sind beim Arzt, im Krankenhaus oder sie rufen beispielsweise die Hotline einer "Frei-Haus-Apotheke“ an, weil sie gesund werden und mehr Lebensqualität für sich selbst organisieren wollen. Ein vollständiges Desinteresse gibt es da eigentlich nie, wohl aber den Wunsch, je nach individueller Situation ausreichend informiert zu werden und mit den eigenen Bedürfnissen ernst genommen zu werden. Dass es auch gelegentlich Fehlentwicklungen gibt, ist unbestreitbar. Man erfährt von Fällen, in denen Ärzte bei der Behandlung auf die Wünsche und Sorgen ihrer Patienten wenig Rücksicht nehmen. Wo eine solche Fehlentwicklung ihren Ausgang genommen hat, kann allgemein oft nicht beantwortet werden, aber ich kann Ihnen versichern, dass wir an diesem "dicken Brett" weiter bohren werden.

4. Welche Rolle kann die Selbsthilfe ‑‑ Ihrer Einschätzung nach ‑‑ übernehmen und welche nicht?

Christoph Straub: Selbsthilfe kann den Patienten stark machen im Umgang mit seiner Erkrankung, ihm das Gefühl des Alleinseins nehmen und ihm wichtige Hinweise zum Leben mit der Krankheit geben. Sie kann nicht Strukturdefizite des Gesundheitswesens auffangen oder professionelle Unterstützung geben – dies widerspricht schon dem Namen "Selbsthilfe. Und als pressure-groups sollten sich die Selbsthilfeinitiativen natürlich auch nicht instrumentalisieren lassen.

Andreas Tecklenburg: Selbsthilfegruppen sind das Beste, was einem Patienten passieren kann. Selbsthilfegruppen sind sehr gut informiert, sie kennen noch besser als die Ärzte die emotionale Situation des Betroffenen und können auf einer Ebene kommunizieren, die den Professionellen versagt ist.

Dieter Hebel: Über das große Spektrum verschiedener Krankheiten hinweg und in den verschiedenen Regionen bietet die Selbsthilfelandschaft ein sehr unübersichtliches Bild. Sie können in Ihrer Stadt eine hoch engagierte und kompetente Selbsthilfegruppe finden, die Ihnen weiterhilft, und 50 km weiter stellen Sie bei näherem Hinsehen fest, dass eine andere Gruppe keinen anderen Zweck erfüllt als Verkaufsförderung für Medikamente zu betreiben, über die es dann im "Handbuch Medikamente" der Stiftung Warentest heißt "wenig geeignet". Für Patienten und Angehörige, die natürlich oft unter großem Leidensdruck stehen, ist es nicht leicht, die eine Gruppe von der anderen zu unterscheiden. Auch deshalb setzt die GEK darauf, mit objektiven und patientengerechten Informationen zusätzliche Hilfen zu bieten. 

5. Welche Technologien könnten die Ärzte und Pflegekräfte unterstützen und wie könnte dies praktisch funktionieren?

Christoph Straub: Die elektronische Gesundheitskarte wird ebenso wie viele E-Health-Projekte Unterstützung bieten. Aber längst nicht alles ist eine Frage der Technolgie, sondern viel eher des Bewusstseinswandels und des Lernens.

Andreas Tecklenburg: Mittlerweile gibt es technische Hilfsmittel, wie Filme, elektronische Medien oder Aufklärungsbücher zu bestimmten Sachverhalten. Dazu gehören auch Chat-Rooms oder Selbsthilfegruppen. Nimmt sich ein Patient vorher die Zeit sich gut zu informieren, findet er heute im Internet und in der Literatur so viel Informationen, dass das Informationsungleichgewicht zwischen Patient und Behandler deutlich besser ausbalanciert wird.

Dieter Hebel: Medizin ist eine Leistung, die von Mensch zu Mensch erbracht wird, und das wird auch zukünftig so bleiben. Telemedizin, das Internet, Datenbanken und so weiter können dabei aus meiner Sicht immer nur eine dienende Funktion haben, aber nicht im Mittelpunkt stehen. Perspektivisch werden nach unserer Einschätzung serverbasierte Technologien, angefangen mit dem elektronischen Rezept, große Wachstumsraten haben. Wenn der Datenschutz sichergestellt ist und der Patient immer Herr seiner Daten bleibt, können am Ende ausgewählte Leistungserbringer im Gesundheitswesen auf einen einheitlichen Datenbestand zugreifen und die Behandlung schonender und wirksamer durchführen. Wunder kann man sich davon nicht versprechen, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

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6. Die Krankenkassen und Versicherungen arbeiten seit geraumer Zeit mit eigenen und auch zugeschalteten Communication Centern, wissen Sie um die Erfahrungen und wann glauben Sie werden diese auch von den eigentlichen Leistungsanbietern genutzt werden?

Christoph Straub: Wir haben sehr gute Erfahrungen mit unserem Informationsangebot rund um das Thema Medizin und Gesundheit gesammelt und es daher kürzlich auch noch weiter ausgebaut. Viele Leistungsanbieter sind auf diesem Gebiet ebenfalls sehr aktiv; wie sich dies entwickelt, wird sich auch im Wettbewerb entscheiden.

Andreas Tecklenburg: Was ich bisher erfahren habe, sind die Erfolge solcher Kommunikationscenter oder Call-Center derzeit so, dass sich die hohen Erwartungen nicht erfüllt haben.

Dieter Hebel: Bei den von Ihnen angesprochenen Leistungen beobachten wir das Umfeld genau. Die wichtigste Dimension, die uns dabei interessiert, ist die der Qualität. Nur wer in diesem Feld weit überdurchschnittliche Leistungen liefert, wird sich durchsetzen und von den Versicherten akzeptiert. Die Nutzung durch Leistungserbringer, die Sie ansprechen, kommt vor, ist aber eher ein Randbereich.

7. Was tun Sie denn konkret in Ihrem Arbeits‑ und Verantwortungsfeld, gibt es Projekte oder andere gezielte Aktivitäten?

Christoph Straub: Wir haben ein umfangreiches Informationsangebot zu Fragen der Medizin und der Gesundheit. Unser Ärztezentrum ist an sieben Tagen der Woche rund um die Uhr erreichbar. Das Internetangebot hat jüngst das HON-Zertifikat bekommen, also das Gütesiegel der Health-on-the-Net-Stiftung. Seit Jahren geben wir gemeinsam mit der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft Patienteninformationen heraus, die die ärztlichen Therapieempfehlungen in laienverständlicher Sprache enthalten. Und natürlich legen wir schon bei der Konzeption von Modellvorhaben und Integrationsverträgen Wert auf die enge Einbindung der Patienten in ihre Behandlung.

Andreas Tecklenburg: Wir haben eine große Anzahl von Projekten, die sich um die Betreuung und den Service der Patienten kümmern. So versuchen wir mittels geplanter Behandlungsabläufe intern klare Prozessabläufe zu strukturieren, die dann sehr viel einfacher nachvollziehbarer, valider und wiederholbar den Patienten nahe gebracht werden können.

Dieter Hebel: Das Stichwort Qualität, das ich eben schon nannte, ist ganz generell der Leitbegriff für alle unsere Aktivitäten, sowohl nach innen als auch nach außen. Das beginnt bei der Qualität der Ausbildung unsere Mitarbeiter – wo wir gerade in der Kooperation mit der Hochschule Aalen für Technik und Wirtschaft einen Studiengang Gesundheitsmanagement entwickeln – und soll am Ende zu einer besseren Behandlungsqualität für unsere Versicherten führen. Ein ganz wichtiger Schritt dabei sind auch alle Aktivitäten, die der Prävention, also der Vermeidung von Krankheiten dienen. Wir freuen uns, dass unser Bonus-Programm "Smile-Konto" so gut angenommen wird.

8. Es gibt zahlreiche Beobachter, die aussagen, dass das aktuelle Qualitätsmanagement zu wenig auf die Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt wäre. Entspricht dass Ihrer Meinung bzw. was müsste stärker im Vorgehen des QM  akzentuiert werden?

Christoph Straub: Die Ergebnisse der Qualitätsbewertungen könnten sicherlich für Laien verständlicher dargestellt werden. Insbesondere interessiert den Patienten: Wer ist gut? Im QM des Gesundheitswesens werden aber mehr die Prozesse abgebildet, und eine gute Prozessqualität entspricht noch nicht einer guten Ergebnisqualität.

Andreas Tecklenburg: Diese Aussage ist, glaube ich, so nicht richtig. Wenn ich unsere Projekte zur Verbesserung von Service und Betreuung der Patienten ansehe, dann sind viele dieser Projekte nicht nur unter dem Label Qualitätsmanagement zu sehen sondern machen schlicht und ergreifend das Unternehmen besser. Vielmehr wird der Begriff Qualitätsmanagement in Deutschland viel zu abgehoben benutzt. Für mich ist Qualitätsmanagement alles, was das Unternehmen besser macht und damit auch die Zufriedenheit unserer Patienten und unserer Kunden erhöht.

Dieter Hebel: Für mich bedeutet Qualitätsmanagement, dass man sich sehr ernsthaft mit der Frage beschäftigt, was Qualität eigentlich ist, welche Qualität unsere Versicherten wollen und wie man diese Dinge möglichst objektiv messen kann, mit dem Ziel, sie dann zu verbessern. Insofern kann ich, was die GEK betrifft, Ihrer Aussage nicht folgen, und über andere Institutionen zu urteilen, steht mir nicht zu.

Das Interview wurde mit folgenden Personen geführt:

Dr. Christoph Straub
Vorstand Techniker Krankenkasse

Dr. Andreas Tecklenburg
Vorstand für das Ressort Krankenversorgung und
Vizepräsident der Medizinischen Hochschule Hannover

Dieter Hebel
Vorstand Gmünder ErsatzKasse GEK

In 2 Wochen erscheinen weitere Interviews zum Thema mit folgenden Personen:

Dr. med. Heidemarie Haeske-Seeberg
Bereichsleiterin Medizin und Qualitätsmanagement
Sana Kliniken GmbH und Co. KGaA

Hans-Dieter Öepen
Avya Tenovis - Frankfurt

Winfried Busche
Direktor am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim

Bewertung: 5 / 5

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