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Die Patientenzahl in den Notaufnahmen deutscher Kliniken hat sich in den vergangenen Jahren drastisch erhöht: Im Jahr 2011 wurden hier insgesamt 21 Millionen Patienten gezählt. Ein Grund für die steigenden Zahlen ist die zunehmend eingeschränkte hausärztliche Versorgung insbesondere in ländlichen Gegenden. Zudem findet eine Verlagerung der hausärztlichen Versorgung in die Rettungsstelle statt.

Allein in der Rettungsstelle der Paul Gerhardt Diakonie Krankenhaus und Pflege GmbH in Wittenberg stieg im vergangenen Jahr das Patientenaufkommen um etwa zehn Prozent auf knapp 24.000 Patienten. Um allen Patienten dennoch eine optimale und adäquate Versorgung bieten zu können, wurde 2011 das Lean Management eingeführt – ursprünglich eine Idee aus der Industrie.

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Das Konzept umfasst eine optimierte Organisation – von der administrativen Aufnahme bis zum Abstrom der Patienten – sowie die Ausstattung mit speziellen Geräten zur Sofortanalyse. Seitdem konnten die Wartezeiten allein auf Laborwerte von durchschnittlich etwa 90 Minuten auf zwei beziehungsweise 20 Minuten verkürzt werden. 


„Inzwischen gibt es nicht einmal mehr Stoßzeiten, die Notfälle kommen laufend über den ganzen Tag verteilt“, so Verena Lindenau-Stockfisch, Lean Managerin im Paul Gerhardt Diakonie Krankenhaus über den Alltag in der Rettungsstelle. Die steigende Patientenzahl ist Lindenau-Stockfisch zufolge auf die erhöhte Anspruchshaltung der Patienten und darauf zurückzuführen, dass immer mehr Hausarztpraxen in der Umgebung schließen oder ihre Sprechzeiten reduzieren.

Zudem kämen auch viele Bagatellfälle in die Rettungsstelle. Damit der Andrang sinnvoll gemanagt werden kann, wurde die Rettungsstelle als eigenständige Abteilung mit einem leitenden Oberarzt für die Notfallmedizin (in Kooperation mit der Charité) grundlegend neu konzipiert – nach der Methode des Lean Management.

Neues Krankenhaus-Konzept ursprünglich der Automobilbranche entlehnt

Größer könnte der Umweg kaum sein: Die Ursprünge des Lean Management-Konzepts liegen in der japanischen Unternehmensphilosophie Kaizen, die vom Automobilhersteller Toyota weiter entwickelt wurde. Ein Unternehmen mit einem schlanken (lean) Management konzentriert sich auf den tatsächlich wertschöpfenden Prozess, wobei Verschwendung erkannt und eliminiert wird. Unter Einbeziehung aller Mitarbeiter werden Techniken wie die Wertstromanalyse zur Visualisierung von Prozessabläufen und deren Engpässen herangezogen.


Lean Management ist prozess-, mitarbeiter- und patientenorientiert. In der Rettungsstelle des Multiversorgers durchläuft der Patient – stark vereinfacht ausgedrückt – die Stufen Aufnahme, Ersteinschätzung nach dem Manchester Triage System (MTS) und pflegerische Diagnose, bevor diensthabende Ärzte der Rettungsstelle gerufen werden. Gerade in fachbereichsübergreifenden Abteilungen wie der Notaufnahme hilft das Konzept des Lean Management, die Abläufe zu optimieren und dadurch die Wartezeiten für die Patienten, aber auch für die Ärzte zu verkürzen.

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„Durch die erhöhten Wartezeiten hinsichtlich der Laborergebnisse und der langen Wege, die das Personal bei der Arbeit zurücklegen muss, geht wertvolle Zeit verloren“, so die Managerin. Seit der Einführung des Lean Managements konnte das Wittenberger Krankenhaus bereits erste Erfolge verzeichnen: Während diensthabende Ärzte der Rettungsstelle früher durchschnittlich 90 Minuten auf die für die weitere Therapieentscheidung wichtigen Laborergebnisse warten mussten, sind es jetzt noch maximal zwei Minuten für die Blutgasanalyse und etwa 20 Minuten für die AQT-Werte. Zudem behält nun eine Pflegekraft selbst bei erhöhten Patientenaufkommen die Übersicht und schätzt die Behandlungsdringlichkeit des jeweiligen Patienten nach einem validierten System ein.


In der Rettungsstelle in Wittenberg wurden größere Umwälzungen vorgenommen: Während die Blutproben zuvor ausschließlich an das  Zentrallabor geschickt wurden, sorgen nun zwei Sofortanalyse-Geräte von Radiometer für sichere Ergebnisse nach wenigen Minuten: Das Immunoassay System AQT90 Flex misst kardiale, Gerinnungs- und Infektionsmarker. Da die Messung aus Vollblut oder Plasma erfolgt und keine Probenvorbereitung erforderlich ist, lassen sich Laborparameter wie der Troponinspiegel oder auch D-Dimere binnen kürzester Zeit ermitteln.

Der ABL800 Flex dient der Blutgas-Analyse sowie der Bestimmung der Elektrolyte und liefert Ergebnisse bereits nach zwei Minuten. „Mit der Sofortanalyse lässt sich ein Erstverdacht schnell bestätigen oder ausschließen“, erklärt Dr. Sönke Petrausch, leitender Oberarzt der Rettungsstelle. Dr. Petrausch weist aber auch ausdrücklich darauf hin, dass die Ergebnisse keine eindeutige Diagnose liefern, sondern interpretiert werden müssen. Wird beispielsweise ein Patient mit akuter Atemnot in die Rettungsstelle gebracht, kann dies ein Symptom für verschiedene akute Erkrankungen sein. Nun kann durch Blutgasanalyse und Troponin-Bestimmung zügig eine differenzierte Diagnostik und somit eine zielgerichtete Therapie des Patienten eingeleitet werden.


Dr. Petrausch erläutert ein weiteres Beispiel: „Bei traumatisierten Patienten (Stichworte Polytrauma) können anhand der im BGA-Gerät bestimmten Parameter schnell wichtige Prognosefaktoren wie pH-Wert und Hb-Wert ermittelt werden. Das dauert im Labor etwa 15 bis 20 Minuten, beim ABL800 Flex liegen die Ergebnisse bereits nach zwei Minuten vor.“ Da die Geräte direkt in der Rettungsstelle platziert sind, entfallen unnötige Laufwege und Prozesskosten (insbesondere Opportunitätskosten) sinken.

Durch die Sofortanalyse können Risikopatienten schnell identifiziert und weitere zielgerichtete Behandlungsschritte eingeleitet werden. Unnötige Untersuchungen werden so weitgehend vermieden, was überflüssige Behandlungskosten spart. Nicht nur die turn-around-time, sondern auch die durchschnittliche Verweildauer sinken und Personalressourcen können flexibel und zeitsparend eingesetzt werden.

Mehr Kompetenzen sichern schnellere Erstbehandlung

Auch die Dezentralisierung der Entscheidungseinheiten trägt zu einem effizienteren Ablauf bei. So wurden dem Personal in der Rettungsstelle mehr Kompetenzen eingeräumt. Das Pflegepersonal kann nun aufgrund von speziell für die Rettungsstelle fest definierten Labor- und Leistungsstandards POCT-Parameter eigenständig bestimmen, und nimmt gegebenenfalls weitere Vitalparameter ab.

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„Anhand dieser Standards und in Kombination mit der eingeschätzten Dringlichkeitsstufe laut MTS kann die zuständige Schwester den diensthabenden Arzt zügig und gezielt informieren“, erklärt Lindenau-Stockfisch. „Wenn der Arzt eintrifft, sind die Ergebnisse in der Regel schon da. Zuvor musste er im Schnitt erst einmal 30 Minuten warten, um mit der weiteren Diagnostik oder Therapieentscheidung fortzufahren.“

Um den Erfolg des neu eingeführten Konzepts fortlaufend zu evaluieren, werden alle Schritte und Ergebnisse genau dokumentiert und als Benchmarks festgelegt. Einmal im Monat finden Fall-Konferenzen statt, in denen ausgewählte Behandlungsbeispiele besprochen werden. So sollen etwaige Schwachstellen, aber auch weiteres Optimierungspotenzial erkannt werden. Lindenau-Stockfisch sieht darin eine Trendwende: „Die alten Strukturen im Management der Rettungsstelle haben jahrzehntelang die Prozesse dominiert. Durch das neue Konzept konnten wir die Abläufe so gestalten, dass wir eine hohe Prozesssicherheit sowohl für Patienten als auch für unsere Mitarbeiter erreicht haben.“

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