Foto: Fr. PlügerÄrztegenossenschaften: Über 10.000 Ärzte sind bereits Mitglieder in Genossenschaften - Wenn auch von vielen unbemerkt, haben sich in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Genossenschaften mit dem Ziel gegründet im Gesundheitswesen Geschäfte zu machen bzw. ihre Interessen dort zu vertreten.

Besonders auffällig sind dabei die landauf, landab gegründeten – inzwischen über 50 – Ärztegenossenschaften mit insgesamt einigen Tausend Mitgliedern.

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Es sind ganz offensichtlich unterschiedliche Ziele, welche Teile der Ärzteschaft mobilisieren, diese neue, für viele doch ein wenig überraschende Kooperationsform, der Genossenschaft zu wählen.

Sehen die einen in den Ärztegenossenschaften quasi eine Parallelorganisation zu den unter Druck geratenen Kassenärztlichen Vereinigungen, andere die Möglichkeit regionale Interessen zugunsten eines gemeinsamen Vorgehens zu bündeln, sind es bei wieder anderen der Aufschluss innovativer wirtschaftlicher Leistungsfelder und die damit verbundene Chance beruflicher Zukunftssicherung.

Über die Beweggründe der Gründung, die aktuelle Situation und insbesondere die mögliche Zukunft der Ärztegenossenschaften – aber auch des Genossenschaftswesens im Gesundheitswesen insgesamt – sprach Wolfgang George mit Elke Pflüger, die in diesem Jahr eine beachtenswerte Dissertation zum Thema „Chancen und Grenzen der Genossenschaft im Gesundheitssektor“ veröffentlicht hat.


George: Es sind offensichtlich unterschiedliche Hintergründe, welche Ärzte dazu führen eine Genossenschaft zu gründen?

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Pflüger: Genossenschaftsgründungen können generell als Instrument verstanden werden, den strukturellen Veränderungen im ambulanten Versorgungsmarkt zu begegnen. Die Zielsetzungen der kooperierenden Ärzte variieren insgesamt allerdings sehr stark. Während einige Genossenschaften in erster Linie auf einen Erhalt des Status quo abzielen, steht für andere Vereinigungen die Umsetzung innovativer Versorgungskonzepte oder aber die gezielte Förderung der Mitglieder in einem bestimmten Geschäftsfeld – etwa im Abrechnungsbereich – im Vordergrund.

George: Wie würden Sie die aktuelle Situation der Ärztegenossenschaften zusammenfassend beschreiben. Wo stehen die Ärztegenossenschaften heute?

Pflüger: Bereits seit dem Jahr 2003 ist eine entsprechende Gründungswelle zu beobachten. Über 10.000 Ärzte und Zahnärzte haben sich derzeit genossenschaftlich organisiert, um gemeinsame Markmacht zu erlangen und im Bedarfsfall Aufgaben der Kassenärztlichen Vereinigungen wahrzunehmen. Daneben haben sich etwa zwanzig fachärztlich strukturierte Organisationen und einige regionale Genossenschaften gebildet, die tendenziell eher dazu bereit sind, innovative Konzepte umzusetzen. So wurden im Rahmen integrierter Versorgung bereits zahlreiche Vertragsvereinbarungen unter Beteiligung dieser Ärztegenossenschaften getroffen.

George: Worin sehen Sie deren größten Gefährdungen?

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Pflüger: Als problematisch würde ich eine zu starke Konzentration auf Lobbyismus und Öffentlichkeitsarbeit sowie eine Vernachlässigung der spürbaren Mitgliederförderung betrachten.

George: ..... und deren Potentiale?

Pflüger: Ärztegenossenschaften können ihre Mitglieder in fast allen Geschäftsbereichen unterstützen. Genannt seien hier exemplarisch: das Rechnungswesen, die Beschaffung, die Personalwirtschaft und alle zum Komplex Marketing zählenden Maßnahme. Etwa den Vertragsverhandlungen und der Vermarktung von IGeL-Leistungen. Insgesamt sollte genossenschaftliche Zusammenarbeit zukünftig noch stärker als eine Möglichkeit der betriebswirtschaftlichen Optimierung erkannt werden.

George: Gleichwohl würden Sie das Genossenschaftsmodell als ein attraktives Modell kennzeichnen?

Pflüger: Unabhängig vom jeweiligen Kalkül der Gründer und Mitglieder sprechen gute Gründe für eine genossenschaftliche Organisation. Vorteilhaft sind etwa die personalistische und demokratische Struktur der Genossenschaft, die Haftungsbeschränkung, die Möglichkeit des unkomplizierten Ein- und Austritts und der Schutz vor Übernahme – um nur einige Pluspunkte zu nennen.

George: Wenn Sie nun selber die Gründung einer Ärztegenossenschaft begleiten würden -- denn es ist ja absehbar, dass weitere Gründungen vollzogen werden -- worauf würden Sie achten, worauf Ihre Aufmerksamkeit richten?

Pflüger: Wichtig ist eine gute Kooperationskultur. Ich würde daher von einer allzu heterogenen Mitgliederstruktur abraten, um Abstimmungsprobleme innerhalb der zu gründenden Genossenschaft zu vermeiden. In geplante Versorgungsprogramme können stationäre Anbieter, Apotheker und andere Leistungserbringer auf andere Weise eingebunden werden.

George: Sie empfehlen in Ihrer Veröffentlichung, dass auch die aktuell stattfindende Gründungswelle der Medizinischen Versorgungszentren von Ärztegenossenschaften genutzt werden sollte, dass MVZ sinnvoller Weise in der Rechtsform der Genossenschaft betrieben werden können?

Pflüger: Vor allem für größere MVZ kann die eG eine geeignete Organisationsform darstellen, denn es gilt die Mindestzahl von sieben Mitgliedern zu beachten. Neben weiteren Vorzügen der Rechtsform ist insbesondere die demokratische Selbstbestimmung der Beteiligten als positiv zu bewerten. Ein genossenschaftlich geführtes MVZ könnte als Gegenmodell zu einem klinikeigenen MVZ fungieren.

George: Ihrer Analyse folgend, ist ja auch für andere Genossenschaften Platz im Gesundheitswesen. Etwa auch für Patientengenossenschaften. Wie könnten sich diese organisieren und welche Ziele versuchen zu erreichen?

Pflüger: Es haben sich unter anderem Assistenzgenossenschaften mit dem Ziel formiert ihren Mitgliedern ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Schwerbehinderte und Pflegebedürftige kooperieren genossenschaftlich, um persönliche Assistenz in ihrer eigenen Wohnung sicherzustellen. Nicht nur die Finanz- und Organisationskompetenz, auch die Anleitungskompetenz der Mitglieder im Alltag und das Recht auf freie Personalwahl kann dadurch gestärkt werden.

George:. ....wäre demnach auch eine Demokratisierung des Gesundheitswesens?

Pflüger: Die traditionellen genossenschaftlichen Prinzipien lauten: Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung. Eine Umsetzung dieser Leitlinien durch die Betroffenen kann sicherlich zu einer stärkeren Demokratisierung beitragen.

George: Wie bewerten Sie zusammengefasst die Aussichten der Genossenschaften sich erfolgreich im ambulanten Versorgungsmarkt zu engagieren? Was muss hierfür alles zusammentreten?

Pflüger: Großen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung werden weiterhin politische und rechtliche aber auch gesellschaftliche und ökonomische Rahmenbedingungen haben. So sollte etwa die Finanzierung integrierter Versorgungskonzepte sichergestellt sein. Besonders Ärztegenossenschaften, die innovative Projekte verfolgen sowie Bedürfnisse ihrer Mitglieder erkennen und flexibel darauf reagieren, haben gute Zukunftsperspektiven.


Die Veröffentlichung ist zum Preis von 39,90 € plus Versandkosten beim: Forschungsinstitut für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen-Nürnberg, Findelgasse 7/9, 90402 Nürnberg zu beziehen.

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